Wegbereiter im Kampf gegen die Folgen der Poliomyelitis

von Prof. Dr. Rolf Müller [Leipzig]

Auf die große Zahl von Erkrankungen an Poliomyelitis im Jahre 1953 und danach reagierte man in der DDR mit dem Aufbau von Rehabilitationszentren in Berlin-Buch, Neuruppin, Gottleuba, Wermsdorf und im Thermalbad Wiesenbad. Die Leitung der Rehabilitationsklinik in Wiesenbad wurde Professor Arnold übertragen, der nach 1945 in Bad Elster eine umfangreiche krankengymnastische Abteilung für die Behandlung der Folgen von spinaler Kinderlähmung und Morbus Bechterew aufgebaut hatte und außerdem über langjährige Erfahrungen in der Sportmedizin sowie in der Aus- und Weiterbildung von Ärzten, Krankengymnasten und Masseuren auf den Gebieten Krankengymnastik und Spezialmassagen verfügte.
 
Arno Arnold wurde am 29. Januar 1897 in Glatzen/Marienbad geboren [1]. Er besuchte das Gymnasium in Eger und studierte anschließend Medizin an der Universität Leipzig. Nach dem Staatsexamen und einer mehrjährigen Ausbildung an der Poliklinik, am Pathologischen und am Hygienischen Institut der Universität Leipzig übernahm er 1927 die Leitung der neu gegründeten Sportärztlichen Beratungsstelle der Leipziger Universität. Es folgte 1930 die Habilitation mit einem Thema der Sportmedizin. 1935 übertrug man Arno Arnold die ärztliche Leitung der Staatsanstalt für Krankengymnastik und Massage in Dresden, und ein Jahr danach wurde er zum Professor ernannt. Ab 1940 war Professor Arnold dann im Militärdienst Leiter einer Abteilung für Arm- und Beinamputierte sowie Extremitätenverletzte im Lazarettverbund Bad Elster, Radiumbad Brambach und Radiumbad Oberschlema. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs folgte die schon erwähnte Tätigkeit in Bad Elster bevor er am 1. Januar 1955 die Leitung des Thermalbades Wiesenbad übernahm. Dieses Bad, das während des 2. Weltkriegs als Reservelazarett diente und danach von aus den deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland Vertriebenen bewohnt war, hatte man ab 1954 umfassend rekonstruiert, modernisiert und nach Vorstellungen von Professor Arnold für die vorgesehene neue Nutzung ausgestattet. Ende Januar 1955 war der erste Bauabschnitt abgeschlossen – der Kurbetrieb wurde am 1. Februar 1955 mit einer Anfangskapazität von 65 Betten aufgenommen.
 
Gestützt auf seine umfangreichen beruflichen Erfahrungen entwickelte Professor Arnold in Wiesenbad eine spezielle Therapie für Patienten mit Poliomyelitisfolgen. Überragende Bedeutung hatte für ihn die Bewegungstherapie im Wasser, vorzugsweise im Thermalbad. Hinzu kamen andere Maßnahmen der physikalischen Therapie, wie Elektrotherapie, Überwärmungsbäder, Unterwassermassagen, Kenny-Packungen usw. Die medikamentöse Therapie zog er ebenfalls in Betracht [6]. Dabei übernahm er auch Erfahrungen, die in anderen Ländern, vor allem in den USA, bei der Behandlung von Polio-Patienten gesammelt worden waren. Zur gleichzeitigen Behandlung aller vier Extremitäten unter Ausnutzung des Wasserauftriebs diente die von Professor Arnold entworfene „Adlerwanne“ – auch „Pilzwanne“ genannt.
 

Die Adlerwanne (Foto: Thermalbad Wiesenbad)

 
Im Laufe der folgenden Jahre entwickelte sich das Sanatorium Thermalbad Wiesenbad unter der Leitung von Professor Arnold zum Haupt-Rehabilitationszentrum für Poliomyelitis der DDR. Den Patienten wurde eine Behandlung geboten, die alle damaligen medizinischen Möglichkeiten auf dem Gebiet der Bewegungstherapie ausschöpfte und auch im internationalen Maßstab außerordentlich beachtlich war. Die Dauer jeder Kur wurde ganz individuell festgelegt – in der Regel mindestens 6 Wochen.
 
Professor Arnolds Pläne gingen jedoch noch wesentlich weiter. Sein Ziel war eine Ganzheitsrehabilitation für Poliomyelitisgeschädigte in speziellen Rehabilitationszentren. Auf dem Gebiet von Thermalbad Wiesenbad sollte ein „Polio-Dorf“ entstehen, in dem Kinder und Jugendliche neben einer umfassenden medizinischen und physiotherapeutischen Rehabilitation auch eine Schulausbildung bzw. später eine berufliche Ausbildung erhalten könnten (siehe unten „Rehabilitationszentren“). Dieser Plan ließ sich zwar nicht verwirklichen, im Sinne des „Polio-Dorfes“ wurde aber im März 1958 im Robert-Koch-Haus des Thermalbades eine Station eröffnet, in der Kinder im Alter von 2 bis 16 Jahren aufgenommen und betreut wurden. Ab dem Schuljahr 1958/59 gab es dann auch eine Sonderschule mit Unterricht in den Hauptfächern der Klassen 1 bis 10 [3].
 
Das Sanatorium verfügte nun über 200 Kurplätze; 150 für Erwachsene und 50 für Kinder. Jährlich kamen 1700 bis 1800 Patienten zur Kur nach Wiesenbad, etwa 70 % davon mit Restlähmungen nach Poliomyelitis, und viele erzielten in dieser Zeit spektakuläre gesundheitliche Erfolge.
 
Ein besonderes Anliegen Professor Arnolds war die menschliche Führung seiner (überwiegend jungen) Patienten. Er sah die Kinderlähmungspatienten als große Familie und fühlte sich immer als helfender und beratender Vater für diese – „seine Polios“ – verantwortlich [2]. Diese persönliche Haltung hat bei vielen seiner damaligen Patienten und Mitarbeiter einen tiefen Eindruck hinterlassen, der noch heute – viele Jahrzehnte später – sehr lebendig ist. Die tief verwurzelte humanistische Haltung Professor Arnolds kommt auch in seinen Vorstellungen von zu schaffenden Rehabilitationszentren für an Poliomyelitis Erkrankte zum Ausdruck. Auf einer internationalen Arbeitstagung über Rehabilitation im Jahre 1958 sagte er dazu u. a.: „Dieser Erfolg wird jedoch nur dann eintreten, wenn das gesamte Personal einer solchen Einrichtung eine verschworene Gemeinschaft ist, die von dem hohen Gedanken einer wahrhaften Humanitas getragen wird, die den Kranken wieder vor Augen führen muss, dass die Materie vom Geist überwunden wird, dass sich jeder, wenn er will, aus dem tiefsten Elend erheben kann. Sie muss sich den Grundsatz höchsten Arzttums im Sinne von Paracelsus, Theophrast von Hohenheim, der die These aufgestellt hat, dass der Grund aller Arznei die Liebe sei, zu eigen machen ... “ [6].
 
Seine Erfahrungen und sein Wissen veröffentlichte Professor Arnold in mehr als 100 wissenschaftlichen Publikationen, zum großen Teil Themen der Sportmedizin und der Behandlung der Folgen der spinalen Kinderlähmung gewidmet. Besonders erwähnt seien hier das 1956 von ihm herausgegebene „Lehrbuch der Sportmedizin“, das von Wissenschaftlern aus beiden Teilen Deutschlands verfasst wurde [4] sowie die fünfbändige „Bibliographie der Sportmedizin und deren Grenzgebiete von 1911 bis 1957“ [5]. Hinzu kamen über 350 wissenschaftliche Vorträge in Fachkollegien des In- und Auslands sowie populärwissenschaftliche Vorträge speziell für an Poliomyelitis und Morbus Bechterew Erkrankte. Ein von Professor Arnold geplantes vierbändiges Handbuch der Sportmedizin mit einem gesamtdeutschen Autorenkollektiv scheiterte an der Errichtung der Mauer und der dadurch vorangetriebenen massiven Entzweiung der beiden deutschen Staaten [2].
 
Professor Arnold war Mitglied bzw. Ehrenmitglied mehrerer internationaler Wissenschaftlervereinigungen und ab November 1954 1. Vorsitzender der neu gegründeten „Arbeitsgemeinschaft für Sportmedizin“. Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Er starb am 26. März 1963. Die Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention der Bundesrepublik Deutschland verleiht jährlich den „Arno-Arnold-Preis“ an hervorragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler auf dem Gebiet der Sportmedizin und hält damit das Andenken an diesen Pionier der Sportmedizin wach. Wir Polio-Patienten sehen und ehren Professor Arnold jedoch vor allem auch als Wegbereiter im Kampf gegen die Folgen der Poliomyelitis.
 
Quellen
[1] Die Sportmedizin der DDR. Saxonia Verlag Dresden.
[2] Persönliche Informationen von Prof. Dr. med. habil. W. Arnold
[3] Günther, Britta: Thermalbad Wiesenbad. Die Gesundheitsquelle im Erzgebirge. Hrsg. Thermalbad Wiesenbad, 2001.
[4] Arnold, A. (Hrsg.): Lehrbuch der Sportmedizin. Verlag J. A. Barth, Leipzig 1956.
[5] Arnold, A.: Bibliographie der Sportmedizin und deren Grenzgebiete von 1911 bis 1957. 5 Bände. Verlag J. A. Barth, Leipzig.
[6] Arnold, A.: Die Rehabilitation bei Poliomyelitis. Veröffentlicht in: Renker u. a.: Rehabilitation – Organisation und medizinische Praxis. VEB Georg Thieme, Leipzig 1959.
 
Rehabilitationszentren

In seiner leidenschaftlichen Argumentation für die Schaffung spezieller, großer Rehabilitationszentren für Poliomyelitisgeschädigte, deren Aufgabe einerseits die umfassende medizinische Behandlung der Poliomyelitisfolgen, andererseits aber auch die vorschulische und schulische Ausbildung sowie die Berufsausbildung bzw. die Unterstützung beim Wiedereintritt in das Berufsleben sein sollte, betonte Professor Arnold auf der „Internationalen Arbeitstagung über Fragen der Rehabilitation“ 1958 in Leipzig [6]:
„ ... ; denn es muss einmal festgestellt werden, dass die mit Poliomyelitisfolgen Behafteten eine gewisse „Elite“ unter den Kranken, auch den chronisch Kranken, darstellen, bei denen wir in der überwiegenden Zahl, wie auch u. a. Josenhans betont, besondere Gaben an Verstand, Charakter und vor allem Willenskraft feststellen können.
Und so kann es sich kein Volk mehr leisten, auf den Schatz von Intelligenz, Mut und Tatkraft der großen und immer mehr wachsenden Zahl der Poliomyelitisgeschädigten zu verzichten. Außerdem entspricht es der heute nur allzu oft und leichtfertig zitierten wahren Humanitas, aber auch der politischen Klugheit, zu vermeiden, dass eine große Zahl wertvollster Menschen zwangsläufig auf Grund ihrer Behinderung in Berufe absinkt, die ihren Fähigkeiten und Veranlagungen in keiner Weise entsprechen.“